Ist wirklich schon jene Jahreszeit angebrochen, die jeden dazu einlädt innezuhalten, um das bislang Geschehene Revue passieren zu lassen?

Gerade eben noch lagen wir am Strand und suchten im Wasser Kühlung – und nun, wenn wir, die Jacken noch locker um die Hüften geschlungen, abends im Biergarten sitzen, sind wir uns einig, dass jeder verbleibende Sommertag der letzte sein könnte. Wir teilen uns die Nostalgie gerecht, jeder bekommt seinen Teil davon ab. Was fängst du damit an?

Schon färben sich die Blätter bunt, und beim Morgenspaziergang im Wald funkeln Tautropfen auf Spinnweben: Der Altweibersommer ist hier – früher, viel früher als uns lieb ist. Nun sehnt sich selbst der abenteuerlustigste Wanderer verstohlen danach, sesshaft zu werden, für einige Atemzüge nur.

„Halte einen Augenblick nur inne, bleibe stehen, wirf einen Blick zurück“ raunen mir die Wipfel der Nadelbäume zu: „Was der Sommer dir brachte, heimlich, in der Leichtigkeit des Augenblicks unbemerkt, wird nun sichtbar – es ist an der Zeit, dich zu fragen, was du davon behalten willst.“

Mein Blick schweift über aufsteigenden wolkenwattegleichen Dunst – Rilke lockt mit sirenengleichen Versen:

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los. 

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein. 

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. 

(Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris)

Viele wissen, was sie nicht wollen – doch das ist nicht genug: Der Bauchladen der Gefühle ist groß. Das Aussortieren fällt schwer. Und mit die schwerste Aufgabe scheint zu sein, das nicht für sich zu beanspruchen, was du nicht willst. Nimm dir die Zeit: Betrachte die Spinnweben des Sommers, an denen sich Tau verfängt – er macht sie sichtbar, er fordert dich auf, nur das zu behalten, für das du einstehst, für das du kämpfen willst. Lass all das los, was du gesammelt hast, nur, um es zu besitzen. Schau dich um: Wessen Hand willst du halten, wenn der Nebel über die Wiesen zieht? Was willst du in den Taschen tragen, wenn du alles Gepäck abgegeben hast? Welche Silhouette soll der Baum deines Lebens werfen, wenn er alle Blätter abgeschüttelt hat?

Tautropfen liebkosen deine Seele – sachte, sanft erinnern sie dich, dass die Zeit des Überflusses, des unbemerkten Überdrusses sich dem Ende zu neigt. Befreie dich von überflüssigem Ballast, halte bei dir, was dich dein Selbst erkennen lässt. 

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