Neulich ist mir ein schwerer Fauxpas unterlaufen: Ich habe mich glatt erdreistet, auf einem Nachrichtenportal auf Facebook einen Rechtschreibfehler im Titel zu korrigieren. Ich reagiere allergisch, wenn ich „was für´s Herz“ lesen muss. Das erinnert mich an all die „Inge´s Frisörsalon“ und „Matze´s Kneipe“ der 1980er Jahre – die falsch gesetzten Apostrophe hatten mithin die ganze Dekade meiner Jugend Zeit, mich zu zermürben. 

Also fasste ich mir mein Herz und wies den Redakteur in einem Kommentar darauf hin, dass auch nach der Rechtschreibreform im Deutschen ein Apostroph ein e, jedoch kein a ersetzt: Dass es folglich „was fürs Herz“ und nicht „was für´s Herz“ heißen müsste.

Warum ich diesen Fehler unbedingt korrigiert sehen wollte? 
Mir ist Sprache wichtig – sie schlägt die Brücke vom Ich zum Du. So, wie wir kommunizieren, so sorglos, achtsam, leichtfertig oder fürsorglich – so gehen wir mit anderen Menschen um. Und immer wieder mit uns selbst.
Und, ja, da bin ich spießig: Ich denke, wenn jemand mit Sprache arbeitet, wie es nun mal ein Nachrichtenredakteur tut, sollte er sie zu benutzen wissen.

Artig bedankte sich der Redakteur auch für meinen Hinweis und besserte den Fehler aus.

Aber: Mit den auf meinen Korrekturvorschlag folgenden Hasstiraden der Facebook „User“ hatte ich nicht gerechnet – Beschimpfungen, Anklagen, Beleidigungen prasselten auf mich hernieder. (Ich glaube, dass all jene, die selbst das Apostroph falsch setzen, sich von mir kritisiert fühlten – und prompt mit Gegenangriffen reagierten, deren Vehemenz mich nach wie vor erschreckt. Menschlichkeit, quo vadis?)

Ich war entsetzt, beinahe schockiert: Wo kam denn dieser ganze Hass auf einmal her?

 

Ich habe früher einige Jahre intensiv Aikido praktiziert. Kurz vor dem Erhalt meines Shodan ordnete ich mein Leben Aikido unter – ich übte täglich mehrere Stunden. Ich wollte, unbedingt, diesen Weg der Harmonie und Energie für mich vollkommen entdecken, wollte Aikido von einer Technik, einer Kampfkunst, zur Lebenseinstellung machen - ich war fasziniert von dem Gedanken, Angriffe umzulenken, den Gegner nur mit seiner eigenen Energie zu Fall zu bringen – und vor allen von der Großherzigkeit, die „mein“ Aikido mir versprach: will Aikido doch niemals den Angreifer vernichten, sondern für ihn Einladung zur Veränderung, zur Verbesserung sein.

 

 

Bildquelle: fotolia.de 

 

Ich glaube heute: Aikido ist dann der Weg des Ai Ki, wenn es dir gelingt, dich und dein Ego vollkommen aus der Situation zu nehmen – du dein ganzes Sein auf dein Gegenüber konzentrierst. Wenn es dir nur noch um den anderen, kaum mehr um dich selbst geht.

Natürlich gelingt das im Alltag mal besser – und öfter schlechter. Und doch – es gelingt mir immer schneller, den Aufschrei meines Egos wahrzunehmen, bevor er allzu schrill ertönt.

Nichtsdestotrotz: Als ich diese Hasstiraden las, war für einen Moment der Drang, mich zu verteidigen, fast übermächtig. Ich wollte klarstellen, weshalb ich auf diesen Fehler aufmerksam machen MUSSTE, weil Sprache unser Werkzeug zur Verständigung ist, weil ich denke, dass, wenn jemand mit Sprache arbeitet, er ihre Regeln kennen sollte etc.

Dann hielt ich inne.

Wem galten diese meine emotionalen Reaktionen denn im eigentlichen Sinn? Von wem hatte ich den Eindruck, dass er mich nicht sieht, meine Motivation nicht kennt, vorschnell und unfair über mich urteilt? Die geifernde Meute im Internet war doch wenig mehr als ein belangloses Ärgernis.

Du musst nicht jedes Scharmützel fechten, das sich dir am Wegesrand darstellt. Du musst nicht jede Schlacht kämpfen, die dir jemand auferlegen will. Du hast die Wahl: Tritt einen Schritt beiseite, lass die Angriffsenergie ins Leere laufen. Nicht bei jeder Attacke lohnt es sich, dem Angreifer eine (um-)lenkende Hand zu reichen.

Ich löschte kurzerhand meinen Kommentar – und damit auch die zahlreichen Beleidigungen. Was davon übrig blieb, ist die vom Redakteur korrigierte Titelüberschrift „was fürs Herz“ und mein gleichmütiges Gefühl, mein Ego achtsam in seinem Aufbegehren wahrgenommen und besänftigt zu haben – indem ich es fürrsorglich ins Leere laufen ließ.

Ich denke heute, lange Jahre nach meiner aktiven Trainingszeit: Aikido im Leben meint vor allem Aikido leben, wenn du selbst dir Gegner bist.

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