Während einiger meiner Freunde sich bereits in die freiwillige Selbstisolation zurückgezogen haben, um jeder möglichen Gefährdung und Gefahr durch Ausharren aus dem Weg zu gehen, spüren andere Freunde ebenso die Tatendrang: JETZT will sich noch getroffen werden, JETZT will dieses oder jenes noch erlebt sein. Die Atmosphäre ist von einer ängstlichen Dringlichkeit erfüllt, von einer Erwartungshaltung, dass uns erneut jeden Moment unsere Autonomie, für unsere Bedürfnisse einzustehen, abgesprochen wird.
Freiheit, Selbstbestimmung, Beziehung und Bindung sind ebenso wie Sicherheit, Gesundheit und Bewegung Bedürfnisse. Niemand kann, niemand darf sie für uns reglementieren, niemand darf sie uns nehmen. Wenn wir schon, nach Hannah Arendt, über kein Menschenrecht an sich verfügen,d ass wir nicht immer und immer wieder neu aushandeln, neu erstreiten müssen, so teilen wir mit allen anderen Lebewesen die Bedürfniswelt: Da gibt es nichts auszuhandeln, zuzuteilen – oder abzusprechen.

Freunde schicken mir alte Bilder, Bruchstücke geteilter Erinnerungen, Fotos gemeinsamer Erlebnisse – und, ja: Das Verweilen in der Vergangenheit beschwichtigt durchaus, und auch der Blick in eine geteilte Zukunft beruhigt: solange das Denken schweigen kann, solange wir nicht beginnen zu reflektieren, wie unsere Zukunft in dieser neuen Welt denn aussehen kann, aussehen wird. Es wirkt, als ob wir bereits, zu Monaden mutiert, auf Cormac McCarthys Straße wandern, und dennoch noch glauben, jenseits des Schutts und der Asche unserer Soziabilität läge die magische Landschaft von Avalon.

Ich klicke die alten Fotos meiner selbstisolierten alten Freunde, die sie mir schickten, durch und setze sie variierend als Profilbild. Führe den Akt der festgehaltenen, geteilten Erinnerung ad absurdum. Leider merkt letzteres niemand, und einige Fotos sind auch wirklich nett, bekommen „likes“. Mein ganzes Sein ruft nach dem Anderen, ruft nach Berührung, ruft nach der Wärme, der Weichheit, der Härte, dem Duft der fremden Haut. Jetzt schon. Erst jetzt?
Was ist geschehen?
„This ship is made for storm“ heißt es in einem alten Gospelsong und was gemeint ist, ist, dass wir Menschen durchaus in der Lage sind, auszuhalten. Doch wenn wir uns selbst entfremdet werden, dazu konditioniert, in jedem Mit-Menschen potentielle Gefährdung zu sehen, wenn er sich nicht fern hält, wenn er sein Gesicht nicht verhüllt, was hält unser Schiff zusammen? Wer steuert dieses Geisterschiff durch den Orkan?
Wer will in einer Welt leben, in der ein Lächeln nicht mehr das ansteckendste Geschenk überhaupt ist, weil niemand mehr das Lächeln des anderen erkennt? Die Träume, die so kraftvoll sind, dass sie die Gegenwart erfüllen, schwächen sich ab, verlieren an Buntheit, nur noch ab und zu reicht ein Textfaden zu mir, streckt ein Satzkonstrukt aus seine zittrigen Finger in meine Richtung und streicht sanft über meine Stirn.

 

Wenn wir uns heute kennenlernen

Wenn wir uns heute kennenlernen, lass uns uns ohne Maske gegenübersitzen
Lass uns den Wein in unseren Gläsern schwenken und uns erzählen: von all der Freude, all dem Leid, das unseren Weg geprägt hat.
Lass uns den Schmerz des anderen aushalten und uns am Glück des anderen nähren.
Wir wollen wohl und wollend sein, schamlos, ehrlich um nichts kämpfen müssen, einfach nur sein.
Weil wir uns fremd sind, sind wir vorurteilslos und können neue Werte finden, in die Sterne starren und Geschichten erdenken.
Du kannst meine Narben zählen und ich deine, und alles fügt sich ineinander, weil wir uns fremd so nahe sind.
Und dann, lange schon nach Mitternacht, lass uns uns in den Armen liegen, beieinander halten, damit wir dann, im Morgengrauen, wohl + wollend wissend auseinandergehen können – weil es nach diesem Jetzt ein Morgen geben wird.

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