„Liebe ist das höchste Gesetz der Welt“, lese ich auf meinem Reformhaus-Chai-Teebeuteletikett und muss so loslachen, dass ich mich an meinem Tee verschlucke. Ach ja, denke ich mir, dann sollten wir Rechtskunde als Schulfach einführen. Zu frisch, zu akut sind noch all die Schilderungen meiner Freunde und Klienten, die in den letzten Wochen katastrophale Erfahrungen auf der Suche nach eben jener Liebe, die größer ist als die Angst, etwas noch besseres zu verpassen, machten.

„Jeder will den perfekten Partner. Schauen Sie den Menschen an Ihrer Seite an: Ist er der perfekte? Wahrscheinlich nicht. Bei annähernd 8 Milliarden Menschen ist es unwahrscheinlich, dass Sie gerade den einen perfekten gefunden haben. Aber für eine Beziehung reicht auch der, der eben gut genug ist, aus.“, höre ich auf einem Vortrag zu heuristischen Entscheidungsprozessen.

Wie ist das überein zu bringen mit unserer Online Dating Gesellschaft, mit unserer Ex- und Hopp-Mentalität in Beziehungen? Die nächste Affäre, die nächste Hoffnung auf „den einen welchen“ ist doch nur einen Klick entfernt. Wie kann es sein, dass ich das, was real stimmig scheint, was passt, einer virtuell existierenden Eventualität opfere?

„Ich glaube schon, dass diese Männer (meistens sind es Männer, auch, wenn einige wenige Frauen unter den online Date-Abhängigen dabei sind) es ernst meinen“, berichtet ein Freund, ein auf Suchterkrankungen spezialisierter Kollege, als ich mit ihm über die Paradoxien der Online Dating Abhängigkeit spreche: „Da ist tatsächlich eine tiefe Sehnsucht, ankommen zu wollen, und auch zeitweise immer wieder der Eindruck, das bei der aktuellen Auserwählten tun zu können. Und dann schnappt die Suchtfalle wieder zu, und sie sind wieder online, um sich die nächste zu suchen. Diese Männer sind so komplexbehaftet, dass sie immer wieder den Kick und die Bestätigung brauchen. Die kommen nie an, so sehr sie es sich wünschen.“

„Das ist eine tief greifende Persönlichkeitsstörung“, meint meine Supervisorin: „Die Person projiziert all das, was in ihr selbst ist, was er an sich ablehnt, auf den anderen – und fällt von der anfänglichen Idealisierung in die Entwertung. Damit hat er dann die Entschuldigung, wieder online zu gehen und weiter zu suchen. Denn er glaubt ja fest daran, dass der andere „Schuld“ hat am Scheitern der Beziehung, er selbst hätte ja so gerne ankommen wollen - und redet sich nun ein, dass es „da draußen“ einen besseren gibt.“

 

Was so desillusionierend klingt, ist es auch.

Wenn Partnerportale Vertragslaufzeiten anbieten, die bei 6 Monaten und utopischen Mitgliedsbeiträgen beginnen, die erst bei 2 Jahren mit automatischer Laufzeitverlängerung zu durchaus bezahlbaren Monatsbeiträgen führen, ist es sicher nicht im Sinne des Anbieters, wenn die Mitglieder der Dating Börse schnell eine Beziehung eingehen - und dann kündigen. Also werden weiter "Matches" geschickt oder "passende" Partnervorschläge per Mail gesendet. Und so stellt sich beim Online Konsumenten der so genannte „Kaufhauseffekt“ ein: Der, der sich zumindest finanziell für Jahre verpflichtet hat, shoppt Beziehungsversuche. Sein Profil löscht er auch dann nicht, wenn er mit einem gefundenen Partner bereits eine Immobilie erwerben will. Denn man weiß ja nie, und das Konto wird sowieso weiter belastet...

Doch welches Signal setzt er damit seiner eigenen Psyche? Von Anfang an hat er sich selbst der Chance beraubt, es „wirklich“ versuchen zu können, sich „echt“ einzulassen. Jedes Mal, wenn er sein Profil auf „pausieren“ setzt und nicht löscht, verankert er in seinem Bewusstsein, dass er es wieder reaktivieren wird. Wie kann so eine tragfähige Beziehung beginnen, wie kann so eine echte Begegnung möglich werden?

Wer ewig jagt, kommt nie an, wer ewig sucht, wird nie finden. Das, was gut ist, was erfüllend und passend sein kann, zerrinnt dem Jäger wie Sand zwischen den Fingern, in seinen Projektionen entgleitet ihm das wahre „Du“. Immer weiter auf der Flucht glaubt er doch, kurz vor seinem Ziel, dem Ankommen, zu sein – das er gleichzeitig nie erreichen wird, nicht erreichen kann.

Er ist selbst so zerrissen, dass er meist nicht bemerkt, wie viel Schmerz und Leid er hinterlässt. Dass es jemanden gab, der an ihn glaubte, der ein „wir“ erschaffen wollte. Der bereit war, sich auf ihn einzulassen, ihn anzunehmen in seiner Ambivalenz.

Und doch: Der, der Liebe in sich trägt, wird sie auch im Außen finden. Der, der sie nur jagt, verliert sich selbst.

Vielleicht zitiert das nächste Reformhaus-Chai-Teebeuteletikett Marc Aurel: „Denke nicht so oft an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast.“ Und kämpfe darum, kämpfe um das, was du erreichen und bewahren willst - du hast es doch schon.

 

 

 

 

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