Seit beinahe jeder ein Smartphone hat, hat die Psychotherapie eine zusätzliche Herausforderung und eine zusätzliche Chance gewonnen: Während es noch vor zehn Jahren durchaus möglich war, eine Stunde fokussiert auf der zugrunde liegenden Musterebene dysfunktionale Glaubenssätze zu beleuchten, unterbricht heute ein Piepsen des Handys häufig genug die Konzentration. Insbesondere, wenn zwischenmenschliche Konflikte im Vordergrund stehen (und das tun sie in der Psychotherapie meist), braucht es oft Überzeugungsarbeit, um das Gerät nicht in Sichtweite auf dem Tisch zu parken.
Und doch steckt auch ein Vorteil in der immerwährenden Erreichbarkeit: Wir Therapeuten können quasi als Verhaltensbeobachtung in vivo bezeugen, wie unser Klient auf Nachrichten reagiert, wie er kommuniziert. Und damit direkt intervenieren. Wir können den Klienten unterstützen, wenn er uns aufgelöst sein Smartphone unter die Nase hält und aufgeregt auf die blauen Haken hinter seiner gesendeten Nachricht zeigt: „Gelesen hat sie´s – und sie antwortet einfach nicht!“
Heute gilt eine Antwortlatenz von zehn Minuten bereits als Indikator, dass unser digitaler Gesprächspartner seine Trennung von uns vorbereitet.
Die reduzierte Kommunikation über die verschiedenen Messengersysteme, das „sich Anfüttern“ mit Floskeln und Stichworten führt oft genug zu Missverständnissen. Deine Interpretation der Antwort deines Freunds „Mal schauen“ auf deine Frage „Wann wollen wir uns sehen?“ zeigt nicht so sehr eure Beziehungsqualität auf – sie zeigt, welche Vorerfahrungen du mit Beziehungen gemacht hast, sie zeigt, welches Selbstbild du dir in Verbindung mit welchem Weltbild konstruiert hast.
Whatsapp, Messenger und Co. sichern dauerhaft das Einkommen der Paartherapeuten.
Nicht nur in der akademischen Philosophie meine Studenten, noch viel mehr in der Psychotherapie leite ich meine Klienten an, sorgsam mit ihren Worten umzugehen: Unseren mentalen Konstrukten kleben wir damit Etiketten auf. Wir begreifen unsere Welt mittels der Vorstellungen, die wir uns davon machen. Wir befinden uns kontinuierlich in einer inneren Szenerie, in einem Zustand, der Gedanken (die kognitive Ebene), Gefühle (die emotionale Ebene), körperliche Empfindungen (die physiologische Ebene) und auch motorische Handlungen (Beobachtbares Verhalten) umfasst. Um jenseits des konkreten Erlebens diese Szenerien abrufen / repräsentieren zu können, benötigen wir Hilfsmittel: Wir entwickeln Sprache. Wenn wir geistig und organisch dazu in der Lage sind, nutzen wir Worte als Stellvertreter für diese internen Zustandsrepräsentationen.
Unsere Sprache ist eine erste Sortierungs- und später Orientierungshilfe, sie wird schließlich zum Navigator, um uns auch in den Nebenstraßen der Kommunikation nicht zu verlieren. Unsere Worte werden zu Symbolen, sie stellen Schilder auf, indizieren „Vorfahrt“ oder „Stopp“. Ein solches Symbol ist jedoch viel mehr als ein rein kognitives Hilfsmittel: Ein Symbol leitet eine mehr oder weniger komplexe Verhaltenskette ein.
Wir haben uns eine eigene Wirklichkeit geschaffen: Wir haben uns angewöhnt, auf die Zeichen, auf die Symbole zu reagieren. Wir gehen damit um, als seien sie wahrhaftig. Nicht mehr die Bedeutung, das, worauf die Zeichen referieren, steht im Vordergrund - oft genug geht der direkte Bezug verloren. Dann bewegen wir uns in einem Schilderwald inhaltsloser, oft genug widersprüchlicher Aussagen. Und verhalten uns doch so, als ob das Symbol als solches Bedeutung hätte und nicht nur darauf verwiese.
Das, was so theoretisch klingt, findet seine konkrete Entsprechung im Alltag: Wie oft ich nicht schon mit meinen Klienten daran gearbeitet habe, eine Whatsapp aus einer Perspektive heraus zu dechiffrieren, die zunächst von all den impliziten Bedeutungen des eigenen Schilderwalds absieht!
Oft genug hat sich eine Chat-App als Standleitung in Beziehungen etabliert: Wir verlassen uns darauf, dass der andere zuverlässig erreichbar ist – egal, ob ich ihm gerade meine Liebe gestehen will oder ihm vorwerfen will, dass er wieder mal den Müll nicht raus gebracht hat. Andererseits entwickelt sich bei vielen eine Abhängigkeit der kontinuierlichen Rückversicherung der Beziehungsbeständigkeit: Wenn der virtuelle Kuss fehlt, wenn statt ein „Ja, mein Schatz“ nur ein „Ja“ als Antwort kommt, gerät der eigene Schilderwald ins Wanken. Das „Ja“ scheint auf Ablehnung zu verweisen, löst eine andere Handlungskette aus.
Nun gilt es, die Worte wieder auf ihren Platz zu verweisen: An sich besitzen sie keine Macht, sie sind Platzhalter für Konzepte, die wir uns auch von uns selbst in dieser Welt machten. Es lohnt sich, ihren Gebrauch zu hinterfragen, zurückzuverfolgen, auf was sie denn „wirklich“ verweisen. Der Weg zurück vom Symbol zur Bedeutung ist ein steiler, kurvenreicher – der vom Gipfel aus wundervolle Aussichten auf das tiefe Tal im Morgennebel offenbart.
Schau in deine Welt: Überall sind Worte, überall ist Sprache. Sie laden dich zum Pflücken und zum Kosten ein, fordern dich auf, dich selbst zurückzuverfolgen. Und wer weiß – vielleicht findest du dich, hinter all deinen und fremden Lauthülsen.