Wer versucht, auf seine ersten Lebensjahre zurückzublicken, schaut in ein schwarzes Loch: Es muss kein düsterer Abgrund sein, der sich da auftut, und doch erhellt kein Licht die Vergessenheit. Es ist unmöglich, sich bewusst an die ersten Jahre zu erinnern. Das Gehirn ist erst ab dem 3. Lebensjahr überhaupt in der Lage, Erinnerungen abzuspeichern. Und doch prägt uns diese Zeit sehr.

So bestimmen die Beziehungserfahrungen dieser Zeit, welche (und ob überhaupt) Bindungen wir im Laufe des Lebens eingehen, welche Beziehungsmuster sich ausprägen. 
Untersuchungen zeigen, dass ca. die Hälfte aller Kleinkinder im Alter von bis zu vier Jahren sicheren Bindungstypen entsprechen. Die zweite Hälfte teilen sich vermeidend, unsicher-ambivalent und desorganisiert gebundene Bindungstypen. Das meint, dass ca. 50 Prozent der Menschen auch als Erwachsene sich schwer tun, stabile, ausgeglichene Beziehungen einzugehen.

Oft genug wiederholen wir in unserem Beziehungsleben mehrere Male spezifische Muster von Partnerschaften und Freundschaften. Oft begeben wir uns in die ewig gleiche Rolle: Manchmal wechseln wir zwischen Opfer- und Täterrolle hin und her, doch meistens bleiben wir der Position treu, die wir uns selbst gegeben haben. Wir suchen uns Partner, die uns erlauben, unser Muster einzuhalten. Das sind vielleicht Menschen, die wir idealisieren können – oder auch verachten, entwerten oder uns ihnen unterwerfen. Vielleicht klammern wir uns an Beziehungen, die niemals hätten entstehen sollen oder die ihr Verfallsdatum schon lange überschritten haben.
Selbst dann, wenn wir schon längst kognitiv durchschaut haben, dass uns eine bestimmte Beziehung nicht gut tut, halten wir daran fest.

Im Laufe einer Therapie ist es beinahe unvermeidbar, dass bestehende Beziehungen genauer unter die Lupe genommen werden. Ab und zu ist das Muster schnell aufgedeckt: Die Tochter eines narzisstischen Vaters sucht sich narzisstische Liebespartner und lässt sich schlecht behandeln, der Sohn einer Depressiven hält an Beziehungen fest, in denen der Counterpart bedürftig und hilflos erscheint. Sehr häufig erklären sich die Betroffenen ihr Festhalten an Beziehungen, in denen sie unglücklich sind, nicht nur mit der Verantwortung, die sie glauben, für den anderen zu tragen – sie fühlen sich häufig der Angst, alleine zu sein, ausgeliefert. Wir befürchten, nie lernen zu können, uns von übergriffigen Menschen abzugrenzen oder denken, nie wieder jemanden zu finden, der zu uns passen könnte.

Und es stimmt: im Laufe der therapeutischen Selbstreflexion löst sich das alte, bedürftige Ich auf – die Person, die sich Partner klammert, die ihr nicht gut tun, hört auf zu existieren. Und das neue Ich ist noch klein, es verbirgt sich noch und traut sich nicht recht heraus. In dieser Phase kann es sein, dass es wirkt, als ob es überhaupt keinen passenden Menschen mehr geben könnte, als ob niemals eine erfüllende Beziehung möglich wäre.

Doch halte einen Moment inne und frage dich, was du mit „passend“ meinst: Denn dein altes Muster willst du ja nicht mehr bedienen! Das Alte trägt nicht mehr, dort hast du keine Heimat gefunden. Doch ankommen kannst du überall, immer dort, wohin dein Herz dich trägt. Vielleicht ist es an der Zeit, in eine andere Richtung zu blicken, dem Anderen, dem Fremden eine Chance zu geben – wie die Gans, die mit den Schwänen schwimmt und dort neue Freundschaften knüpft.

 

Du musst nicht alleine sein – du kannst es sein, wenn du es willst.

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