Wir liegen auf dem Bauch auf deinem abgewetzten Teppich und starren das verblasste Weinrot vor uns an. Als deine Nachricht mich erreichte, hatte ich diese zwei freien Tage ursprünglich schon anders verplant, und doch weiß ich, wissen wir voneinander, wann wir füreinander dazusein haben – auch, wenn 600 km uns trennen. Also setze ich mich in den Zug, und nun bin ich hier.

Ich blättere das imaginäre Fotoalbum, das wir uns vor uns liegend vorstellen, um und lache: „Weißt du noch“, frage ich, als wir im Wald übernachteten und unseren Schafsack direkt neben dem Bach ausbreiteten?“
Und ob“, grinst mein alter Freund, „wir haben vier Stunden versucht zu schlafen und sind mit dem ewigen Rauschen des Wassers ganz verrückt geworden!“
Dann hat es endlich zu schütten angefangen und wir hatten einen Vorwand, zum Van zurück zu rennen“, kichere ich.
Damals waren wir noch ganzer“, murmelst du und streichst mit der Fingerspitze eine meiner Narben nach. „Glaubst du?“, frage ich, und zucke mit den Schultern. "Leben hinterlässt Spuren. Hoffentlich!". Bocellis Caruso, eines meiner Lieblingslieder, setzt im Hintergrund zu einem Crescendo an.
„Ich bin total kaputt“, sagst du, „ich schaffe es einfach nicht, länger in einer guten Partnerschaft zu sein!“, und deine Augen werden feucht. Mir ist klar, dass du dich wieder in einer unmöglichen Liebe verloren glaubst, dass dieser innere Anteil in dir, der so wundervoll leiden kann, wieder einmal Liebe und Bedürftigkeit gleichsetzt. Und das, was dich an Schmerz und Leid nun so intensiv überflutet, dich aus deinem erwachsenen Dasein hinaus katapultiert und regredieren lässt, gehört dem Kind, das du mal warst.

Ich blättere das vorgestellte Album weiter: „Schau mal, das sind die Plastiktüten, die du mir vor die Tür gestellt hast, als ich wieder mal Schluss mit dir machte!“, grinse ich und spiele auf eine ganz frühe Episode unserer ehemaligen Beziehung an. „Ja“, lachst du laut auf, und im Hintergrund klingt inzwischen „Ave Maria“, „du bist wutentbrannt hinausgestürmt und ich habe all deinen Kram in die Tüten gepackt und raus gestellt.“ „Das war ein enormer Schock, mein „Ich“ in Plastiktüten neben dem Müll stehen zu finden“, sage ich, „zumindest fühlte es sich so an, als ob da die ganzen Teile meines Lebens weggeworfen sind...“ „Mensch“, meinst du, „waren wir jung..“ „Und ganz schön dramatisch“, füge ich hinzu.

„Und irgendwie haben wir all die Jahre überdauert, sind immer noch füreinander da, wenn auch anders...“

„Wenn auch gesünder“, sage ich, „und das zeigt, dass auch du beziehungsfähig bist!“ Und ich erzähle dir, was ich in all den Jahren meiner therapeutischen Tätigkeit in Erfahrung gebracht habe:

Immer wieder wird mir, verzweifelt, enttäuscht, die Frage gestellt: „Bin ich überhaupt beziehungsfähig? Schon wieder ist eine Beziehung in die Brüche gegangen – und ich habe doch so eine große Sehnsucht nach einer guten Partnerschaft! Aber in mir bin ich ein Scherbenhaufen.“

Wir alle wissen, dass die Gründe für eine Trennung mannigfaltig sein können. Doch wenn sich Situationen wiederholen, wenn sich ein Muster herausbildet, dann lohnt es sich, nachzusehen, was zugrunde liegt: Welcher Ego State, welcher Ich-Anteil (im Neupsychodeutsch oft auch „das innere Kind“ genannt) will nachgenährt werden? Welcher Entwicklungs,- welcher Heilungsprozess steht noch aus, damit eine Partnerschaft eingegangen werden kann, die Chancen hat, die Ambivalenzen des Lebens zu überdauern? Welche Entwicklungs- und Bindungstraumata wollen noch aufgelöst werden?

Meist re-inszenieren wir unbewusst und ungewollt unsere frühesten Beziehungserfahrungen, also unsere kindlichen Erlebnisse mit unseren Bezugspersonen, bis wir innehalten und reflektieren. Fast immer geschieht das aus einer großen psychischen Not heraus: Wenn wir von Gefühlen überflutet werden, wenn uns der Schmerz, der Liebeskummer, den Boden unter den Füßen wegzureißen droht. Manchen gelingt es, den Alltag weiter aufrecht zu erhalten, und doch erscheint es im inneren Empfinden unaushaltbar.

In der Traumatherapie beschäftigen wir uns v.a. auch mit den früh im Leben erworbenen Verletzungen: Wenn Ko-Regulation durch eine stabile, wohlwollende Bezugsperson fehlte, konnte das Kind, konnte der Mensch nicht erfahren, dass jede Emotion, so unaushaltbar sie auch scheint, doch auszuhalten ist – dass sie da ist und vorüber zieht. Durch diese fehlende Lernerfahrung werden zahlreiche Bewältigungsstrategien entwickelt: U.A. wird Suchtverhalten, Essstörungen, Extremsport etc. als Kompensation mehr oder weniger dysfunktionaler Art, mit diesem Konzept erklärt. Fast immer versuchen die Menschen unbewusst, mit Partnerschaften, Beziehungsversuchen, die alte Verletzung zu heilen – und wiederholen doch immer und immer wieder eben jene, retraumatisieren sich damit. Und fast immer führt der Weg der Heilung nicht über erotische / sexuelle Begegnungen, denen das gesunde, erwachsene Fundament fehlt, um tragen zu können, sondern über zwischenmenschliche Begegnungen anderer Art: über Freundschaften, Kameradschaften, Begegnungen in der Therapie, kurz: über stabile Referenzen.

Dieses Nachreifen, Nachnähren, der jungen Anteile erlaubt es schließlich, in einer erwachsenen Partnerschaft Heimat zu finden.


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