„Der Angst ins Gesicht lachen“ beschrieb Viktor Frankl seine Paradoxe Intention: Er war der festen Überzeugung, dass es uns allen gelingen kann, die Trotzmacht des Geistes zu wecken. Denn auch hinter jeder physischen oder psychischen Beeinträchtigung existiert die noetische (geistige) Dimension unversehrt weiter – und in ihr können wir die Kraft finden, unsere Angst nicht nur zu ertragen, sondern uns über sie hinwegzuheben. Denn: „Wir brauchen uns von uns selbst nicht alles gefallen zu lassen“.
„Angst ist der Schwindel der Freiheit“, bezog einer meiner Lieblingsverzweifelten, Sören Aabye Kierkegaard, Stellung: Doch während uns Satre und Camus jeden Halt raubten, indem sie uns in die Freiheit hineinwarfen, ließ er uns zumindest noch die Aussicht auf Beschwichtigung, auf Beruhigung im Glauben – in echter, tiefer Religiosität jenseits der Propaganda einer Staatskirche, wodurch wir psychische Stabilität durch die Empfindung einer beinahe fürsorglichen Teleologie erahnen können – jenseits jeder ratio.
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Was können wir heute noch damit anfangen? Was kann uns dabei unterstützen, sukzessive unsere unnötigen Ängste von (überlebens-)notwendigen zu unterscheiden, uns zu befreien? Um, endlich, unser Leben so zu führen, wie wir es führen könnten: unabhängig, autonom, unseres Selbst bewusst – und niemals vorgezeichnet. In jedem Augenblick offenbart sich eine Vielzahl von Möglichkeiten – jeder Moment dient als Aufforderung, wir selbst zu werden. Ich gehe davon aus: Wir können wählen, wer wir sind – und wenn wir uns dessen bewusst sind, schweigt die Angst.
Wie kann das gelingen?
Etymologisch beruft sich unsere Angst auf das griechische anxein (würgen, drosseln) und / oder das lateinische angor (Würgen, Beklemmung), angustia (Enge) und angere (die Kehle zuschnüren, das Herz beklemmen).
Was würgt uns da, wenn uns die Angst in den Nacken springt?
Ist es der Blick in unseren eigenen Abgrund der Zeitigkeit, die Vorstellung unserer Endlichkeit, die uns daran hindert, JETZT ZU LEBEN? Denn im JETZT gibt es keine Angst – Angst klammert sich an die Zukunft. Und diese ist nichts als eine Erfindung des suchenden Verstands.
"Man kann die Angst", schrieb Kierkegaard in seiner Monographie Der Begriff Angst, "mit einem Schwindel vergleichen. Wer in eine gähnende Tiefe hinunterschauen muss, dem wird schwindlig. Doch was ist die Ursache dafür? Es ist in gleicher Weise sein Auge wie der Abgrund - denn was wäre, wenn er nicht hinuntergestarrt hätte? Demgemäß ist die Angst jener Schwindel der Freiheit, der aufkommt, wenn der Geist die Synthese setzen will und die Freiheit nun hinunter in ihre eigene Möglichkeit schaut. (.. .) In diesem Schwindel sinkt die Freiheit nieder."
Der träumende, unentschiedene Geist plant seine eigene Wirklichkeit als Möglichkeit der Freiheit – ohne Wahl, ohne Entscheidung, ist seine Freiheit bloß ein diffuses „Nichts“ - es ängstigt den Geist, denn in jeder Wahl steckt die Gefahr der immer größeren Verstrickung in weitere Schuld – die mich immer weiter von mir als „religiösen“ und damit sich in Sicherheit befindlichen Menschen trennt.
Doch wenn ich inne halte und in mich statt in den von mir geschaffenen Abgrund blicke, dann erkenne ich, dass in diesem Moment (und dieser Augenblick ist alles, was wir alle haben) für alles gut gesorgt ist: In diesem Moment gibt es keine Angst, da keine Zeitlichkeit existiert.
In diesem einen Augenblick sind wir alle ewig – Augenblick um Augenblick fügt sich Unendlichkeit zusammen, der Tod hebt sich als Fata Morgana selbst auf.
JETZT haben wir alles, was wir brauchen, JETZT sind wir vollkommen sicher – ein „danach“ ist Illusion - jedes Ausatmen befreit mich von Verbrauchtem, Überflüssigem, jedes Einatmen füllt mich mit Lebendigkeit.
Leben ist jetzt – wenn wir dies spüren, schwindet die Angst. Denn jedes Mal aufs Neue wähle ich: mich, meine Welt, mich in dieser Welt. Ich bin frei.