„Du sollst das Segel dann reffen, wenn du das erste Mal daran denkst“, begleitete ein lieber Freund eine Anekdote.
Diesen Merksatz aus dem Segelsport machte ich mir zur Leitlinie für alle jene Situationen, in denen wir uns fragen: „WANN soll ich das tun, mich damit auseinandersetzen, das sagen etc.?“
Tu es DANN, wenn du DAS ERSTE MAL DARAN DENKST. Dann ist die richtige Zeit. Wenn du wartest, kann dich der Wind des Lebens zum Kentern bringen – und in der eisigen Flut der Trauer kann niemand lange schwimmen.
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Gilt all das auch für die Auseinandersetzung mit dem Tod?
Ist es nicht vielversprechender, den Tod aus den Gedanken zu verbannen? Schlussendlich ist er kein Bestandteil des Lebens. Weshalb soll ich ihn derart in mein Leben lassen, dass ich mich bewusst mit ihm auseinandersetze? Für mich gibt es doch kein Sterben – denn mein ICH ist nur in diesem Leben existent.
Wir Menschen sind uns unser selbst bewusst – und zahlen dafür einen hohen Preis: Wir sprechen von uns als ICH in dieser Welt – und durchschreiten damit die Gegenwärtigkeit. Mit diesem „Ich“ projizieren wir uns durch die Zeit, zurück in Vergangenes, voran in die Zukunft. Unser Ich-Bewusstsein gaukelt uns Beständigkeit vor.
Der Tod ist vornehmlich ein kognitives Konstrukt - nicht er ist Bestandteil des Lebens – Vergänglichkeit ist es sehr wohl.
Doch was meint Vergänglichkeit?
In diesem ewigen Kreislauf des Lebens gelingt es uns doch immer nur, Momentaufnahmen zu erhaschen – der komplette Zyklus ist uns nicht ersichtlich. Wir scheinen stetig in einem Augenblick verweilen zu wollen, empfinden Entwicklung als Vergehen.
Wenn du dich bemühst, statisch zu verharren, erlebst du Veränderung als Verlust. Hier lauert das Bewusstsein um unser aller Vergänglichkeit darauf, uns rücklings zu überfallen: Wenn du jemanden verlierst, den du liebst, wenn du deine Zukunft, die Projektion von dir selbst, an Krankheit, Alter, Trauer, Sinnlosigkeit verlierst...
In der existentiellen Psychotherapie führen wir eine Vielzahl von Symptomen, von Depression bis zu Angst und psychosomatischen Störungen, auf nicht konfrontierte Todesangst zurück. Manch´ einer hört auf zu leben, weil nur durch die Illusion des Stillstands Sicherheit, wenn auch nur als Schein, spürbar bleibt. Und dennoch spürt es jeder: das Vermeiden der Auseinandersetzung mit dem Tod raubt uns ein Stück unseres Lebens. Angst ist immer schneller als wir die Augen vor etwas schließen können.
Reffe die Segel, wenn du das erste Mal daran denkst - Durchdenke den Tod, blicke ihm ins Gesicht, wenn er dir als Gedanke gegenübertritt: Das, was wir uns trauen zu erkunden, verliert seinen Schrecken und seine Macht über uns. Setze dich mit dem Tod auseinander: Bis er klein bei gibt und dich zurücklässt ins Leben.