Von den insgesamt nur fünf so genannten Primärgefühlen hätten wir vier lieber nicht: Primäremotionen sind jene Gefühle, die wir nicht nur mit allen höheren Säugetieren zu teilen scheinen, sondern die uns auch als mimischer Ausdruck ins Gesicht geschrieben stehen. Nur die Freude fühlen wir gerne – die anderen Grundgefühle vermeiden wir lieber.

Wut, Trauer, Angst, Ekel und Freude gelten dabei als interkulturelle und angeborene Gefühle. Wer über ein gesundes, spiegelfähiges Gehirn verfügt, kann diese fünf Emotionen intuitiv und sehr genau aus der Mimik unseres Gegenübers ablesen. Diese Grundemotionen haben unserer Spezies durch ihren handlungsauffordenden Charakter auch das Überleben gesichert: Emotionen motivieren uns, etwas zu tun – oder es besser sein zu lassen.

Deswegen zeichnen sich Emotionen (außerhalb des psychopathologischen Störungsbereichs) durch relative Kurzlebigkeit, durch Flüchtigkeit aus. Sie sind nicht wegen ihrer selbst spürbar: Das emotionale Erleben soll ein bestimmtes Verhalten bewirken, und zwar JETZT. 
Doch oft genug wirken unsere Emotionen unkontrollierbar: Wir werden von ihnen überschwemmt, glauben uns ihnen ausgeliefert. Insbesondere unsere so genannten Sekundäremotionen, die von unserer Kultur und Erziehung geprägt sind (wie Scham, Frustration, Irritation, Eifersucht, Entsetzen etc.), scheinen ein Eigenleben zu führen. Sie drängen sich auf und bleiben. 
In der humanistischen wie auch in der Verhaltenstherapie verfügen wir über eine Vielzahl von Methoden, um mit diesen (ungewollten) Gefühlen umzugehen: Im Humanismus konzentrieren wir uns z.B. darauf, die Gefühle in Bedürfnisse, die sie verursachen, zu übersetzen. So gewinnen wir unsere Wahlfreiheit über entsprechende Handlungen zu unserer Bedürfnisbefriedigung zurück. Wir lernen, echte von „Pseudogefühlen“ zu unterscheiden. Letztere implizieren einen Schuldzuspruch an eine andere Person / die Umstände. Sie stellen mich als Opfer dar und verwechseln einen Gedanken mit einem Gefühl. „Sich im Stich gelassen fühlen“ ist beispielsweise ein Pseudogefühl: Ich DENKE, dass ich im Stich gelassen bin. Wenn ich dies denke, fühle ich (und hier sind große interindividuelle Unterschiede festzustellen) mich auf der primäremotionalen Ebene wütend, oder traurig, oder ängstlich... sekundäremotional bin ich vielleicht enttäuscht oder frustriert oder beunruhigt... Welches Bedürfnis steckt nun dahinter? Was brauche ich, wenn ich mich entsprechend fühle? Die meisten von uns werden wohl mit „Ich brauche Unterstützung von einer anderen Person“ antworten. 
In der kognitiven Verhaltenstherapie werden wir uns darauf konzentrieren, welche Gedanken mit diesem ungewollten Gefühl verbunden sind. Was DENKE ich, um mich schlecht zu fühlen, was könnte ich denken, um mich anders / besser zu fühlen? Hier richtet sich die Therapie auf die Untersuchung von so genannten dysfunktionalen Glaubenssätzen bzw. irrationalen Annahmen aus, z.B. "Mein Partner muss immer für mich da sein, sonst liebt er mich nicht."

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Doch manchmal scheint kein Therapieansatz zu greifen – wir glauben, schon längst in den Abyss gestürzt zu sein, in diesem Krater aus Verzweiflung, Sehnsucht, Hoffnungslosigkeit oder Terror zu versinken...

Auch außerhalb einer manifesten Depression, Angststörung oder anderen affektiven Erkrankung ist wohl jeder von uns im Laufe seines Lebens schon mit kaum zu bewältigenden, beinahe unaushaltbaren Gefühlen konfrontiert worden. Ich kenne niemanden, der noch nie glaubte, vor Liebeskummer zu vergehen! Jeder weiß, wie es sich anfühlt, so traurig zu sein, dass wir einen ganzen Ozean mit unseren Tränen füllen könnten! Und im Erleben der überflutenden Emotion fühlen wir uns so einsam wie nie zuvor. Uns erscheint das Universum als schwarzes Loch, in dem wir in Einzelhaft sitzen. Niemand teilt dieses Gefühl mit uns, so glauben wir.

Manchmal hilft es hier, das eigene Erleben zu stilisieren. Denn über das Stilisieren der Emotion wird es wieder möglich in Distanz zu ihr zu treten – und das Stilisieren verdeutlicht, dass es kein Gefühl gibt, das rein privat wäre, das nicht ein anderes Wesen schon vor uns, mit uns, nach uns haben wird. So werden scheinbar unaushaltbare Gefühle durch die Reaktivierung der Metakognition bewältigbar.

Techniken der Peking Oper erweisen sich hier als wunderbare, wenn auch unorthodoxe Therapiemethodik. Denn wenn es ums Stilisieren von Gefühlen geht, zeigt uns die Peking Oper sehr genau, was Linderung verspricht!

Während unser europäisches Theater die Individualität und das authentische Spiel in den Vordergrund stellt(e), abstrahiert die Peking Oper vom individualistischen Gefühl. Beispielsweise geht es auf der Bühne in der Peking Oper (chinesisch: 京剧Jīngjù) nie um das Weinen echter Tränen. Weinen wird im klagenden Tonfall und gestisch als Abtupfen der Wangen mit dem langen Ärmel dargestellt. In der Peking Oper gibt es traditionell vier Rollentypen (die weiter untergliedert werden): die Rolle des Shēng (, männliche Hauptrolle), die des Dàn (, weibliche Hauptrolle, früher immer von Männern gespielt), es gibt Jìng (, die bunten Masken, die hier getragen werden bzw. die bunte Schminke stellt dabei die wesentlichen Charaktereigenschaften der Rolle dar. So wird bereits beim ersten Anblick klar, ob die dargestellte Person z.B. loyal oder ein Verräter ist) und schließlich den Rollentypus des Chǒu (, Clown – was aber weit mehr als unseren westlichen Clown meint). Alle diese Rollen beinhalten typische Kostüme, aber auch spezifische Gestik, Mimik und Bewegungsfolge.

Gefühle werden häufig im Gesang und mit stilisierten Gesten (wie z.B. dem überbetonten Tränenabwischen) zum Ausdruck gebracht. 
Diese Entfremdung können wir für uns selbst nutzen – in der Akzeptanz und Commitment Therapie, ACT, wird dies als Defusion des affektiven Erlebens angestrebt. Versuche es doch einmal selbst: Wie würdest du deine Angst so auf die Bühne bringen, dass jeder im Publikum auf den ersten Blick dein Gefühl erkennt? Welche Bewegung passt zu deiner Sehnsucht? Welche Geste spiegelt die Verzweiflung? Welche Farben, welche Schminke, welche Kleidung passen? Ziel ist, dass ein potentieller Zuschauer aufs Erste das dargestellte Gefühl versteht. 
Je mehr du dich darauf einlässt, umso mehr erreichst du die Kontrolle über dein emotionales Erleben zurück. Du bist dem Gefühlserleben nicht mehr ausgeliefert, im Gegenteil: Indem du ihm szenisch Ausdruck verleihst, wirst du wieder zum Regisseur deines Lebens, du schreibst wieder dein eigenes Lebensskript.

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