In vielen Familien lässt sich eine Dynamik beobachten, in der eine weibliche Figur – häufig die Mutter oder eine ältere Schwester – eine besondere emotionale Zentralstellung einnimmt. Ihr psychisches Befinden, ihre Stimmungen und unausgesprochenen Bedürfnisse wirken wie ein stilles Leitsystem für das gesamte Familiensystem. Dieses Phänomen lässt sich als Bienenköniginnen-Syndrom beschreiben: Eine verdeckt narzisstische Struktur, die sich hinter einem Bild von Fürsorglichkeit, Selbstaufopferung und moralischer Überlegenheit verbirgt.
Im Zentrum dieses Syndroms steht nicht der offene, grandiose Narzissmus, sondern seine verdeckte Form. Die Bienenkönigin tritt nicht laut auf, sondern erscheint nach außen hin als uneigennützig, stets bemüht um das Wohl aller. Doch genau in dieser scheinbaren Selbstlosigkeit liegt ihre Macht: Indem sie sich als unverzichtbar, überverantwortlich und sensibel für die Leiden der anderen inszeniert, bindet sie das emotionale Kapital der Familie an sich. Ihre Bedürfnisse stehen unausgesprochen im Zentrum. Ihre Kränkungen, so subtil sie auch sein mögen, haben Auswirkungen auf das ganze System. Die übrigen Familienmitglieder werden zu Dienstleistenden an ihrer psychischen Stabilität.
Diese emotionale Hierarchie hat klare Regeln, auch wenn sie nie explizit benannt wird. Kritik an der Bienenkönigin gilt als illoyal. Eigene Bedürfnisse werden zurückgestellt, damit „es ihr gut geht“. Kinder lernen früh, die familiäre Stimmung zu lesen: Ein verstohlener Blick, ein Seufzer oder ein vorwurfsvolles Schweigen reichen aus, um ein Verhalten zu korrigieren. Die emotionale Atmosphäre ist abhängig vom inneren Wetter dieser einen Person – und niemand spricht darüber.
Was diese Struktur so schwer erkennbar macht, ist die moralische Codierung ihres Auftretens. Die Bienenkönigin gilt als „die Gute“ – als die, die sich kümmert, die opfert, die stets für andere da ist. Doch diese Opferrolle dient nicht selten als Deckmantel für eine tief verankerte Anspruchshaltung: Wer so viel „gibt“, darf auch fordern – wenn auch nicht direkt, sondern durch Schuldgefühle, subtile Kränkungen und emotionale Rückzüge.
Gleichzeitig kann die Bienenkönigin auf reale Erfahrungen von Ohnmacht oder Benachteiligung zurückblicken: als Frau, als Tochter, vielleicht auch als Angehörige einer marginalisierten Gruppe. Die familiäre Bühne wird so zu einem Ort der Kompensation, an dem die strukturelle Machtlosigkeit von außen in eine emotionale Macht im Inneren der Familie übersetzt wird. Diese Konstellation ist besonders stabil – denn wer will schon die Opferrolle infrage stellen?
Das Bienenköniginnen-Syndrom ist kein individuelles Problem, sondern Ausdruck einer familiären Gesamtstruktur. Es zeigt, wie emotionale Arbeit ungleich verteilt wird, wie Machtverhältnisse unter dem Deckmantel von Liebe und Fürsorge aufrechterhalten werden und wie schwer es ist, diese Strukturen zu durchbrechen. Der Weg aus dieser Dynamik führt nicht über Schuldzuweisungen, sondern über Bewusstwerdung, Sprache und die behutsame Umverteilung von Verantwortung.
Das Bienenköniginnen-Syndrom: Verdeckter Narzissmus und die emotionale Ökonomie der Familie
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