Der Weltuntergang ist kein Ereignis. Er ist ein Bild.
Ein Symbol für das Unausweichliche, das wir sonst so kunstvoll ausblenden.
Ein Symbol für die Endlichkeit, die uns Menschen gleichmacht.
Für den Moment, in dem wir erkennen, wie wenig bleibt – und wie viel dennoch möglich wäre, wenn wir nur früher hinsehen würden.
Wenn alles endet, zeigt sich, was wirklich zählt.
Nicht in Pomp und Pathos, sondern in der Stille danach.
Was machen wir am Tag des Weltuntergangs?
Wenn die Welt untergeht, fällt das Gerüst unserer täglichen Wichtigkeiten in sich zusammen.
Keine Termine mehr, keine E-Mails, keine Kalender.
Keine Karriereleitern, keine Titel, keine Profile.
Keine Bilder, die wir zu formen versuchten – für andere oder für uns selbst.
Nur noch wir.
Und die wenigen Stunden, die bleiben.
Was tun an diesem Tag, an dem nichts mehr weitergeht?
Vielleicht – so könnte man hoffen – lassen wir los.
Nicht resigniert, sondern befreiend.
Wir lassen das Alte fallen wie ein zu eng gewordenes Kleid.
Die Wut, die wir über Jahrzehnte gehegt haben.
Den Groll, der uns vertraut war wie ein dunkler Freund.
Das ewige Rechnen: Wer war im Recht, wer hatte mehr, wer hat uns was angetan?
Denn was nützt das alles noch, wenn der letzte Vorhang fällt?
Der Kollege, der uns demütigte – auch er geht.
Die Freundin, die uns verließ – sie geht ebenfalls.
Die Eltern, die uns nicht gesehen haben – auch sie.
Niemand bleibt. Niemand kommt ungeschoren davon.
Der Weltuntergang kennt keine Sieger und keine Verlierer.
Keine Gerechtigkeit, keine Rache, keine Auflösung. Nur Stille.
Und vielleicht – im Angesicht dieser Gleichheit –
erkennen wir zum ersten Mal, dass es nie um den anderen ging.
Unsere Wut war nicht über das, was geschah.
Sondern über das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein.
Nicht gesehen worden zu sein.
Nicht geliebt worden zu sein, wie wir es gebraucht hätten.
Wir waren wütend,
weil wir glaubten, der andere hätte gewonnen.
Mehr Anerkennung. Mehr Liebe. Mehr Glück.
Und wir?
Wir fühlten uns leer.
Übersehen.
Abgehängt von einer Welt, die uns nicht gerecht erschien.
Aber wenn alles aufhört –
dann hört auch dieses Spiel auf.
Denn dann wird klar:
Am Ende ist niemand besser gestellt.
Niemand nimmt etwas mit.
Niemand kann festhalten, was er „gewonnen“ zu haben glaubte.
Die Masken fallen. Die Vergleiche verblassen.
Und vielleicht verschwindet mit ihnen auch das Urteil.
Was bleibt dann?
Vielleicht – das Staunen.
Über die einfache, fast banale Tatsache, dass wir es so lange nicht gesehen haben:
Dass wir im selben Boot saßen, die ganze Zeit.
Mit unserer Sehnsucht.
Mit unseren Narben.
Mit der heimlichen Hoffnung, doch noch gesehen zu werden.
Vielleicht bleibt das Bedauern,
dass wir uns so wenig verziehen haben.
Dass wir an so vielen Stellen hart waren, wo wir hätten weich sein können.
Dass wir so oft Recht haben wollten – und so selten wirklich verstanden wurden.
Dass wir uns selbst so selten in den Arm genommen haben.
Vielleicht aber – und das ist der zarte Trost –
bleibt auch ein Moment der Gnade.
Ein Moment, in dem wir nichts mehr sagen müssen.
In dem wir einfach dasitzen – nebeneinander oder allein –
und das große Ganze anerkennen, ohne es erklären zu müssen.
Vielleicht halten wir einander noch einmal.
Vielleicht sagen wir ein paar Worte.
Vielleicht schweigen wir.
Und vielleicht – in genau diesem Schweigen –
geschieht der Friede.
Nicht, weil alles gut ist.
Nicht, weil es Versöhnung im klassischen Sinn gibt.
Sondern, weil nichts mehr zwischen uns steht.
Keine Zukunft, kein Urteil, keine Schuld.
Nur Menschlichkeit.
Nackt, verletzlich, endlich.
Und vielleicht ist das genug.