Im portugiesischen Begriff saudade schwingt eine tiefe, fast poetische Dimension von Sehnsucht mit, die in anderen Sprachen kaum adäquat übersetzt werden kann. Es ist ein Gefühl zwischen Melancholie, Liebe und Hoffnung – ein zarter Schmerz über das Verlorene, das dennoch im Herzen weiterlebt. Psychologisch lässt sich saudade als Ausdruck eines universellen Bedürfnisses verstehen: der Sehnsucht nach Reversibilität – dem Wunsch, vergangene Zeiten, Beziehungen und Gefühle wiederherstellen zu können.

In der psychodynamischen Perspektive ist dieses Gefühl oft mit frühen Bindungserfahrungen verbunden. Die erste große Geborgenheit, die ein Kind bei verlässlichen Bezugspersonen erlebt, formt ein inneres Bild von Sicherheit, Liebe und Verlässlichkeit. Diese Erfahrung wird zum emotionalen Urgrund, auf den sich spätere Sehnsüchte richten. Verliert der Mensch diesen Ort – sei es durch tatsächliche Trennung, emotionale Vernachlässigung oder den schlichten Lauf der Zeit – so bleibt ein inneres Echo zurück: die saudade, das tiefe Verlangen, an jenen Ort emotionaler Ganzheit zurückzukehren.

Dabei geht es nicht nur um konkrete Erinnerungen, sondern um ein existenzielles Gefühl der Entfremdung. Beziehungen, die einst Liebe und Halt bedeuteten, verblassen oder zerbrechen. Was bleibt, ist der Wunsch, sie könnten noch einmal lebendig werden – nicht als bloße Wiederholung, sondern als Wiederherstellung eines Zustands der seelischen Heimat. Saudade ist in diesem Sinne keine bloße Nostalgie, sondern der psychische Ausdruck eines unstillbaren Bedürfnisses nach Wiederverbindung mit dem, was einmal bedeutungsvoll war.

Aus bindungstheoretischer Sicht kann saudade auch als eine Bewegung zwischen Verlust und Integration verstanden werden. Wenn ein Mensch sich in der Lage fühlt, die verlorenen Objekte innerlich zu bewahren und kreativ zu verwandeln, entsteht daraus Reife. Wird die saudade jedoch zum lähmenden Schmerz, kann sie depressive Prozesse befördern – der Wunsch nach Reversibilität wird zur unerfüllbaren Obsession.

Dennoch enthält saudade auch Hoffnung. Es ist ein Zeichen dafür, dass das Herz noch erinnert, dass es einst geliebt hat und lieben konnte. In der therapeutischen Arbeit kann dieses Gefühl aufgegriffen und integriert werden – als Brücke zu den Ressourcen früherer Geborgenheit und als Impuls, neue Formen von emotionaler Nähe zu gestalten. Die Reversibilität mag eine Illusion bleiben, aber die Erfahrung, dass Sehnsucht einen seelischen Raum eröffnet, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Resonanz treten, kann heilend wirken.

So ist saudade letztlich ein psychologischer Ausdruck für die tiefe menschliche Fähigkeit, zu erinnern, zu vermissen – und gerade darin sich selbst wiederzufinden.

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