Auf jeden Tod war ich vorbereitet, auch auf meinen. Aber nicht, nie, auf deinen.
Nie kam mir in den Sinn, ohne dich alt zu werden, nie dachte ich daran, dass es ein Weihnachten ohne dich gibt. Du hast mich überschätzt, gnadenlos, als du glaubtest, ich könnte das Ende von uns überwinden.
Es war unsere Lieblingsjahreszeit, wir durchstreiften die Auen, klauten Mais von den Feldern, wir sprangen in die Wellen. An der nächtlichen, verbotenen Copacabana ertränkten wir uns fast in der Strömung. „Ich bin Rettungstaucher, ich hole dich überall raus“, rief ich dir aus Spaß in unserer gemeinsamen, absurd-komischen Panik zu, „Auch, wenn ich noch lebe?!“, lachtest du.
Du hast meinem Ich dich hinzugefügt, ein „wir“ daraus entstehen lassen. Mit wem stehe ich nun Rücken an Rücken, wer geht mit mir durchs Feuer, mit wem reite ich auf dem Wind?
Als du mich batest, ich an deinem Sterbebett, das Fenster zu öffnen, wusste ich, dass ich dich nicht mehr halten kann. Ich wünschte, ich könnte glauben, dass deine Seele hinausflog, in die Weite des Himmels, auf ein weiches Wolkenbett. Frei und leicht, wie wir es in unserem geteilten Leben waren. Aber was ist, wenn die Seele nicht schwerelos ist, wenn sie wie ein 2-Pfennig-Stück, einfach so, zu Boden fällt, wenn sie losgelassen wird? Was ist, wenn sie, doch materiell, nicht aufsteigt, sondern vaporisiert, was, wenn sie, endlich in Berührung mit Sauerstoff, entlassen aus dem Gefängnis des Körpers, instantan oxidiert? Kannst du mir, ich bitte dich, Gewissheit geben und meine verzweifelten Zweifel beruhigen? Ich will mir einbilden, deine Hand auf meinem Kopf zu spüren, wie du mir darüber streichst, nicht zärtlich, fast grob und mit der Berührung lässt du mich mutig, lässt mich stark und tapfer sein. Aber Trauer springt niemanden einfach von hinten an: Sie attackiert dich von vorne, schaut dir grienend ins Gesicht, fährt ihre Klauen und Reißzähne aus und zerwühlt dein Inneres. Sie ist fair, sie gibt dir die Chance, wärst du stärker, wärst du härter, du könntest dich wehren. Wenn nur das Gefühl des Verrats an der Liebe nicht wäre.
Dann frisst sie sich satt an deinem Schmerz, zieht sich für eine Weile in ihr Versteck zurück, und doch wartet sie nur, lauert auf ihren nächsten Appetit.
Nie wieder werde ich so lieben, versprach ich dir übergriffig, versprach ich dir ungewollt und habe mich bis heute daran gehalten. Ich glaube, du würdest es mir sehr, sehr übel nehmen.