„Liebst du mich?“, fragst du, und ich höre das Klirren des zerbrechenden Glaskolbens, womit nun die radioaktive Substanz, die die Katze töten wird, freigesetzt wird.
Ich starre auf die Maserung des Holztisches, der in seiner kombinierten Wucht und Zierlichkeit so wertvoll wirkt, ein Beben erscheint die Flüssigkeit in Glas zu erfassen, der Rotwein wellt wie eine blutige See, schlägt konzentrische Miniaturkreise.
Wir beide wissen, was die Frage bedeutet, wir beide wissen, wie ich sie beantworten muss. Und doch musstest du sie stellen. Weshalb?
Ich schaue auf deine linke Brusttasche, direkt am Herz, durch das schimmernde Grau des Hemdenstoffs zeichnet sich die quadratische Schachtel ab. 5x5 cm, schätzt mein Hirn ohne Aufforderung ab, irgendwann hat es sich angewöhnt, Größen, Längen, Distanzen automatisch zu kalkulieren. Ich bin ziemlich gut darin geworden, ohne es zu wollen, immer wieder sind Menschen überrascht, wenn ich bei Wegbeschreibungen eine Anweisung wie „nach 350 m links, dann noch ca. 70 m geradeaus, dann rechts“ gebe.
In dieser kleinen Schachtel bewahrst du den Ring auf, den du mir geben wolltest, den du mir geben würdest, wäre meine Antwort eine andere. Und doch kennst du sie, und vielleicht hast du auch nur eine Attrappe besorgt, denn du bist auch pragmatisch.
All die Nächte, die wir durch diskutierten, nicht im Wettstreit, sondern im gemeinsamen Galopp unseres Verstandes, und wir rannten durch die Winkel der Theorien der Quantenphysik, verloren uns im Multiversum, bremsten uns an der Kopenhagener Interpretation ab.
All die Tage, an denen wir den Fluss entlang liefen, uns Emotionen pflückten wie Pollen aus der Luft, kleine Bälle daraus formten, Gedanken hinein pusteten, und sie wie Flaschenpost auf dem trägen Strom aussetzten.
Ich hielt die Hand deiner Mutter, als sie starb, du hieltst meine Seele.
Wir lachten über all die Pläne, deine großen, meine kleinen, wie grotesk, dass du all deine Winzigkeiten schon erfülltest, und ich all meine Wichtigkeiten. Jetzt ist es andersrum. Überall lauert der Abgrund und gaukelt Vergnügen vor.
Du musst gehen, das ist uns beiden klar, zu groß ist die Aufgabe, zu wichtig der Job, diese Chance musst du ergreifen, sie wird deinen Namen unsterblich machen. Wegen mir wärst du hier geblieben, wegen dir gäbe ich hier alles auf und käme mit. In einer anderen Welt geschähe genau das. Doch unsere Bindung ist zu tief, zu wichtig, um sie der Illusion der Liebe wegen aufzugeben. Wir können unser „wir“ nicht so riskieren.
Das, was war, war für uns nie digital, war kein definierter Zustand. Als der offizielle Brief dann kam, bemühten wir uns noch, einige Tage lang, Schrödingers Katze nicht in die Kiste zu sperren, wollten sie aussetzen, im Wald, auf den Wiesen, sie auf einem Schiff in Sicherheit bringen. Aus welchen Gründen auch immer ging sie freiwillig hinein. Vielleicht, weil das ihr Schicksal ist: Ihr amor fati zwingt sie, sich immer wieder dem Paradoxon zu stellen. Nur, wenn sie nicht im Fokus steht, nur solange sie niemand wirklich betrachten will, ist sie sicher, kann sie am Leben bleiben.
„Kommst du mit“, fragst du mich, und meine Augen blinzeln die Antwort, „In einer anderen Welt“. In einem Wimpernschlag ist die Katze tot, zumindest musste sie nicht leiden.
„Ich gehe“, sagst du mir, „ich weiß“, nicke ich, „und du?“ willst du von mir wissen, weil es höflich, weil es notwendig ist, „ich lerne Charleston tanzen“. Und dann brechen wir auf und sehen uns nie mehr wieder.